Für den Politologen Prof. Dr. Helmut Wiesenthal steht fest: „Eine inklusive Arbeitsgesellschaft muss Staatsziel sein.“ Das Mitglied der Kommission „Sozialpolitische Innovationen“ der Heinrich-Böll-Stiftung betont, dass der Weg zu einer „wissensbasierten Dienstleistungsgesellschaft“ nicht mehr aufzuhalten sei. Der Bedarf an hochqualifizierten Arbeitskräften nehme weiter zu. Daher plädiert er für neue Rahmenbedingungen, um alle Erwerbsfähigen zu inkludieren. So sollten einheitliche Rahmenbedingungen für alle gelten. Das heißt, dass die Privilegien für Minijobs abgeschafft werden sollen. Befristete Beschäftigung solle mit der Dauer der Beschäftigung auch wachsende Kündigungsfristen bekommen. Zeitarbeit solle nur sechs Monate zulässig sein und dann nach dem Grundsatz „Equal pay“ entlohnt werden. Der Wissenschaftler plädiert für die Abschaffung des Kombilohns. Zudem sei Mindestlohn besser als Aufstockung. (Er empfiehlt auch, dass die rund zwei Millionen Solo-Selbstständigen rentenversicherungspflichtig werden. Um eine soziale Inklusion zu erreichen, sei ein öffentlicher Beschäftigungssektor unerlässlich. Entsprechende Arbeitsplätze sollten für einen Zeitraum von bis zu fünf Jahren gefördert werden können. Dringend rät Prof. Wiesenthal zu einer Reform des Bildungssystems: „Wir müssen von fachspezifischen zu allgemeinen Qualifikationen umstellen.“
Die bündnisgrüne Bundestagsabgeordnete Brigitte Pothmer fordert einen neuen sozialen Arbeitsmarkt: „Auch Langzeitarbeitslose haben ein Recht auf Teilhabe. Was für Behinderte mit der Inklusion gelten soll, muss auch für Arbeitslose möglich sein.“ Zur Finanzierung wollen die Grünen laut Pothmer den Hartz IV-Regelsatz, die Kosten für die Unterbringung und das Geld, das für Fördermaßnahmen des Personenkreises ausgegeben wird, nutzen. „Das alles käme in einen Topf, aus dem dann sozialversicherungspflichtige Arbeitsverhältnisse bezahlt würden“, erklärt Pothmer. Arbeitgeber könnten Private ebenso wie die Träger von Maßnahmen, der öffentliche Dienst und andere sein. Es müsse aber sichergestellt werden, dass durch derartige mit Ein-Euro-Jobs vergleichbaren „Assistenzstellen“ keine anderen Stellen abgebaut würden.
Auch dürfe die Bezahlung nicht unter dem von den Grünen geforderten Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro liegen. Den Arbeitsmarkt insgesamt bezeichnet Pothmer als „doppelt gespalten“. Die eine Spaltung betreffe die Langzeitarbeitslosen, die andere die regulär und die prekär Beschäftigten. Inzwischen fänden sich 75 Prozent der jetzt neu entstandenen Stellen im Bereich der atypischen Beschäftigung aus Leiharbeit, Befristung und Mini-Jobs. „Da gibt es einen Missbrauch, den wir eindämmen wollen“, sagt Pothmer.
Für Leiharbeiter_innen müsse gelten, „gleicher Lohn für gleiche Arbeit plus zehn Prozent Flexibilitätsprämie für den Leiharbeitenden“. Bei den befristeten Verträgen müsse vor allem der Passus der „sachgrundlosen Befristung“ aus dem Gesetz gestrichen werden. Kettenverträge hinderten junge Menschen daran, eine Familie zu gründen. „Junge Menschen brauchen unbedingt eine Perspektive.“ Ernüchternd ist die weitere Bilanz der Grünen-Abgeordneten: „Die rot-grüne Hoffnung, durch Leiharbeit, befristete Verträge und Mini-Jobs eine Brücke in unbefristete Arbeit zu bauen, hat sich leider nicht erfüllt.“
Margit Haupt-Koopmann unterstreicht, dass der erste Arbeitsmarkt immer Priorität haben müsse. „Warum können Ketten wie LIDL und ALDI nicht Servicekräfte an der Kasse vorhalten oder große Unternehmen wieder die Pförtner einstellen?“, fragt die Leiterin der Regionaldirektion Nord der Bundesagentur für Arbeit. Der stellvertretende Vorsitzende DGB Nord, Ingo Schlüter, lässt keinen Zweifel daran, dass man noch die nächsten 20 Jahre Instrumente des sozialen Arbeitsmarkts benötige. Hans-Günter Trepte ist optimistischer: „In fünf Jahren reden wir nur über Fachkräftemangel“, sagt das Vorstandsmitglied der Vereinigung der Unternehmensverbände für M-V.
Zu Beginn der Tagung wurde der Film des Heinrich-Böll-Stiftungsverbunds mit Interventionen im öffentlichen Raum zu Exklusion und Inklusion gezeigt, der die Gäste auf die Thematik einstimmte. Die rund 65 Teilnehmende, überwiegend aus der Arbeitsverwaltung, aus Bildungs- und Beschäftigungsgesellschaften und Kommunalverwaltung, diskutierten intensiv die Thesen der Tagung. Der Tenor war, dass auch in Zukunft ein öffentlicher Beschäftigungssektor in Mecklenburg-Vorpommern notwendig sei.
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Renate Heusch-Lahl ist Politologin, freiberufliche Kommunikationsberaterin und anerkannte Mediatorin (BM).